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Meine süße Verführung

"Kirschen Nass Gewaschen" Bild von "Anrita1705" auf Pixabay.com
"Kirschen Nass Gewaschen" Bild von "Anrita1705" auf Pixabay.com

Saison: Seitenwind Woche 1 "Ins Erzählen kommen..."

Beschreibe ein Essen aus deiner Kindheit

Schon als ich klein war, fuhren wir in den Ferien immer nach Bayern zu meinem Opa. Mit meinen Eltern und meinem kleinen Bruder über fünf Stunden auf der Autobahn, war nicht immer auszuhalten, aber auch schnell wieder vergessen sobald wir in die Straße von Opas Haus einbogen. Vor seinem Haus hatte er einen schönen großen Garten mit drei riesigen Obstbäumen, vielen farbenfrohen Blumenbeeten und einem Gartenschuppen der für mich immer wirkte wie ein Spielhaus für uns Kinder. War nur leider immer abgeschlossen.

 

Doch am allermeisten freute ich mich auf die Kirschen, die in Hülle und Fülle den Baum schmückten. Ich konnte es meist nicht abwarten, dass wir sie gemeinsam endlich pflückten und anschließend zu Marmelade einkochten, Kuchen backten und natürlich auch Eiscreme einfroren. Aber für mich schmeckten sie am allerbesten direkt vom Baum. Da ich noch zu klein war, durfte ich nicht auf die Leiter hoch und die ersten Äste waren für mich viel zu weit weg. Somit blieb mir meist nichts anderes übrig, als neben der Leiter zu stehen, den schweren Weidenkorb vor der Brust geklemmt und abzuwarten das Opa die Kirschen vom Baum zupfte. Die dunkelroten, schon fast schwarzen Kugeln, die vor meiner Nase eine nach der anderen in den Korb plumpsten, ließen meine Augen leuchten. Es waren so unsagbar viele und der Korb wurde allmählich schwer. Dieser süßliche Geruch der direkt unter meine Nase sich sammelte, ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ich löcherte meinen Opa immer wieder wie lange es noch dauerte, weil ich es nicht mehr abwarten wollte. Da kam meine Mama und brachte weitere Körbe zum Einsammeln. Als sie mich kleinen Stöpsel mit dem schweren Weidenkorb stehen sah, sagte sie nur ich kann diesen schon mal in die Küche hochbringen, sie hilft derweil Opa, bis ich wieder da bin.

 

Den Henkel des Korbes fest umklammernd, schleppte ich mich zur Terrassentür und meine Finger gruben sich fest in die verflochtenen Streben des Korbes. Vor der Tür stellte ich den Korb kurz ab und rieb mir die pochenden Hände. Auf Zehenspitzen zur Türklinke greifend, rutschte ich mit den schwitzigen Fingern an der Klinke ab und viel steil abwärts in den Korb. Der Henkel knirschte ächzend und mir schwirrte der Kopf. Als ich mich aus dem Korb gepellt hatte, stieg mir dieser unsagbar süße Geruch in die Nase. Die obersten Kirschen waren alle zermatscht und um den Korb herum bildete sich eine rosafarbene Pfütze. All die schönen Kirschen. Ich fing an den Korb zu durchwühlen um zu sehen ob manche Kirschen überlebt hatten. Weiter unten waren noch einige heil geblieben, doch nun waren meine Hände voll mit dem roten Kirschsaft. Unbewusst schleckte ich mir die Finger ab und mich durchzog eine Gänsehaut. So süß. Überwältig von der Gier nach mehr, nahm ich mir die zermatschten Kirschenreste und steckte mir eine nach der anderen in den Mund. Das saftige Fruchtfleisch legte sich samtig auf meine Zunge und die Haut knackte leicht als ich sie mit meinen Zähnen zerkaute. Der Saft überflutete meine Mundhöhle und lief mir bereits den Hals nach hinten, bevor ich überhaupt schlucken konnte. Ich war wie in Trance und schlang eine Kirsche nach der anderen hinunter. Die Kirschkerne ließ ich dabei immer wieder in mein bereits versautes, mit Kirschsaft gesprenkeltes T-Shirt fallen, das ich zu einem kleinen Bündel vor dem Bauch zusammenhielt. Auf den kalten Steinplatten der Terrasse kniend, über dem Korb gebeugt wie ein gieriges kleines Äffchen, machte ich mich über die Kirschen her. Da ein Plopp in der Backe. Da ein „Pfuu“ spuckend ins T-Shirt. Meine Hände klebrig von Kirschsaft und Überresten von Blättern und Gehölz, umringt von dem süßlichen Duft des Sommers und dem herrlichen Geschmack von roten Sünden meiner Kindheit, stand für mich die Zeit still.

 

Da ging auf einmal die Terrassentür vor mir auf und mein Papa stand mit aufgerissenem Mund und großen Augen in der Tür. „Nicole, was…?“, da hob ich den Kopf, eine Hand am T-Shirt und eine nach der nächsten Kirsche im Korb greifend. Mit vollgestopften Hamsterbacken und großen Kulleraugen, schaute ich erst zu meinem Papa, dessen Gesicht sich zu einem Schmunzeln verzog und dann hinunter in den Korb. Da bemerkte ich, dass ich bereits den Boden des Weidengeflechts erkennen konnte. Bis auf eine Handvoll Kirschen, waren alle verputzt und es blieben nur noch Blätter und Stängel zurück. Die Kirschkerne in meinem T-Shirt kullerten bereits über den Rand hinweg, als ich die letzten Reste in meinem Mund herunterschluckte. Da grummelte mein Bauch ganz laut und ich stierte nach oben zu meinem Papa, der nun ein Breites Zähne zeigendes Lächeln im Gesicht hatte.

 

Ich verzog das Gesicht und quengelte lauthals, „Mir ist so schleeecht!“

 

 

Aber trotz allem liebe ich Kirschen bis heute. Doch in eine Trance ähnliche Fressattacke bin ich seither nie wieder verfallen.

Das Gewinnspiel hat am 11.10.2022 begonnen und endet am 20.12.2022. Jede Woche von Dienstag bis Dienstag, wird ein neues Schreibthema bekanntgegeben. Also schaut gerne in der Community vorbei und lest euch die Einsendungen der Teilnehmer durch, es ist unglaublich was dort für wundervolle Geschichten zusammengetragen werden. 

Mich findet ihr in der Community unter dem Namen "NickiLuise", aber ich werde versuchen meine Texte auch immer hier im Blog zu veröffentlichen, um sie auch in Zukunft immer und immer wieder lesen zu können. Wer weiß, vielleicht zeigt sich ja in den kommenden Wochen schon eine Veränderung in meinem Schreibstil, bin schon gespannt. 

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